«No jokes»
«No jokes with names!» kontert Ministerpräsident Hendrik Wüst trocken, als ihn die Moderatorin am zweiten Tag des Logistik-Zukunfts- und KI-Kongresses «AI24» mit einem Kalauer als «unverwüstlich» begrüsst. Mit dem Vorsatz, dem Silicon Valley Paroli zu bieten, ist es den Westfalen allerdings in der Tat ernst.
Der Landes-Chef des einst eher von Schwerindustrie geprägten Nordrhein-Westfalen zeigt sich an der Seite des IML- und des Direktoriums des erst zwei Jahre «alten» Lamarr-Instituts für Künstliche Intelligenz gut informiert. Er würdigt den Innovations-Cluster um das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, wie auch das nach Hedi Lamarr benannte neue KI-Institut als «echte Pioniere». Die KI-Kompetenz mit Logistikkompetenz und gleichzeitiger Wirtschaftsnähe sei neben dem Gravitations-Schwerpunkt der San Franzisco-Bay-Area und dem legendären Silicon Valley in den zurückliegenden Jahren regelrecht auf der Weltkarte aufgeploppt. Immerhin gebe es in «NRW» mit 77 Hochschulinstituten und über 700.000 Studenten mehr akademischen Nachwuchs, als dies zur Zeit in Kalifornien der Fall sei.
Laut einer Studie von Google und IW Consult wird das Wertschöpfungspotenzial von KI in Deutschland auf 330 Mrd. Euro, und allein in Nordrhein-Westfalen auf 68 Mrd. Euro geschätzt. «Bei Foto-Fälschungen mit dem Papst als Motiv ist die KI abschreckend», so Wüst. Aber wenn es beispielsweise in den Life Sciences um die Früherkennung von Krebs gehe, seien die Möglichkeiten praktisch unersetzbar. «Wenn jemand nach einer ernsten Behandlung am nächsten Tag schon wieder Tennis spielen kann, ist das fast zu schön um wahr zu sein». In einem Fall, der ihm persönlich bekannt sei, sei Beides der Fall: Schön – und zugleich auch wahr. «Das ist ja dieser Tage auch in der Politik nicht immer so», wagt er kurz nach den Landtagswahlen in drei östlichen Bundesländern einen Seitenhieb auf neue populistische Mehrheiten. Gepaart mit dem Gedanken, ob es möglicherweise auch in Fragen der Künstlichen Intelligenz und damit verbundener ethischer Fragen eine definierte Wehrhaftigkeit in Gestalt eines Verteidigungsbündnisses a la NATO brauche, um gemeinsame Werte zu erhalten.
In den Reihen zahlreicher Experten haben anlässlich der Tagung Koryphäen wie Jens Lehmann Gelegenheit sich mit Bedenkenswertem zu Wort zu melden. Der «Prinzipal Scientist Artificial General Intelligence» bei Amazon, Professor an der Uni Bonn und einer der führenden Köpfe am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS), verweist darauf, dass die Menschheit zwischen 200.000 und 400.000 Jahre gebraucht habe, um Sprache(n) zur Verständigung zu entwickeln. KI sei mit ihren Large Language Models nun innerhalb weniger Jahre drauf und dran, Kommunikation und menschliche Interaktionen umzukrempeln. Wobei öffentlich zugängliche «open domains» oft bessere Ergebnisse brächten, als geschlossene Modelle, da sie von einer grösseren Nutzer-Gemeinschaft («Community») fortlaufend geprüft und verbessert würden.
Für die Intralogistik sei vor allem ein Datenraum ohne Unterbrüche wichtig, um die Vorteile eine «Artificial Intelligence» nutzen zu können, leitet Michael Henke, Geschäftsführender Leiter des Fraunhofer IML, eine Sequenz über KI in industriebezogenen Anwendungen der Logistik ein. Ziel sei es, die virtuelle Realität (im Rechner) möglichst direkt mit der physischen Realität zu verbinden.
Für Henry Puhl, Nachfolger von Harald Schröpf beim Automatisierungs-Anbieter TGW, lautet der Schlüssel zur Optimierung auf die «Vorhersagbarkeit» (Predictability) von Prozessabläufen. Rhenus-Vorstand Stephan Peters räumt ein, dass schon zum jetzigen Zeitpunkt so viele Daten aus logistischen Zusammenhängen zur Verfügung stehen, «dass wir die ohne KI gar nicht mehr bewältigen können». Professorin Julia Arlinghaus vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und Automatisierung (IFF) drängt höflich darauf, dass die Forschung vorankommen müsse, um im internationalen Konkurrenzumfeld nicht das Nachsehen zu haben. Somit sei auch ein Robot von Nutzen, den man nicht erst unter Anwendung komplizierter Programmiersprachen auf neue Aufgaben trimmen müsste. «Wir entwickeln gerade einen solchen, dem man mit einem Zeigestab zeigen kann, was er als Nächstes tun soll», so die IFF-Forscherin. Und ergänzt: «Wir werden einigermassen zügig arbeiten müssen, weil wir rein manuell nicht mehr in der Lage sind, alle auftauchenden Fragen zu beantworten».
Mit dem Lamarr-Direktorium
Eine KI soll - wenn sie das dann kann - helfen, auftauchende Probleme zu identifizieren und im Sinnzusammenhang zu interpretieren. Auf jeden Fall gibt es – auch bildlich gesprochen - immer noch alle Hände voll zu tun, ergibt ein «Sofa-Gespräch» zwischen Alice Kirchheim und Michael ten Hompel. Eine neue Plattform, auf die alle stolz sind, heisst «Don´t worry about Logistics» - mit Expertenrat zu allen Fragen der digitalen Transformation.
Denn auch ohne die vielzitierte KI ist die eigentliche Digitalisierung im Transportsektor längst nicht so weit fortgeschritten, wie manche es gern hätten.
www.zukunftskongress-logistik.de
- Details