Talkrunde zum BVL-Kongress

Staplerhersteller Still verwandelte das Sternerestaurant «Hugos» im Berliner Hotel «InterContinental» für die 38. Auflage des Kongresses der Bundesvereinigung Logistik (BVL) unter dem Titel «Thesen am Tresen» in ein Live-Studio. Eine der  Fragen, die im Raum standen: «Geht es auch ohne China?»

In insgesamt fünf Talkrunden diskutieren Logistikexperten und -expertinnen aus Industrie, Handel, Logistikdienstleistung und Wissenschaft jeweils 40 Minuten lang Thesen, die sie heute und in Zukunft bewegen. Moderiert werden sie von den Logistikjournalisten Anita Würmser und Thilo Jörgl.

So hatten – Thema der ersten dieser Diskussionen am «Thresen» - 94 Prozent aller Unternehmen durch die Covid-19-Pandemie mit teils schwerwiegenden Beeinträchtigungen in ihren Lieferketten zu kämpfen. Waren globale Wertschöpfungsketten bereits vor der Corona-Krise viel zu störanfällig?

Christine Mezger-Behan (Kion)

Christine Mezger-Behan, Vice President Logistics Systems bei der Kion-Gruppe findet, dass Abschottung keine Lösung wäre. «Wir müssen aus den Schwierigkeiten während der Pandemie unsere Lehren ziehen». Harald Seifert, Geschäftsleiter der Seifert Logistics Group, der den Speditions- und Kontraktdienstleister zu einem der Top-100-Logistikunternehmen in Deutschland ausgebaut hat, stellt die Abhängigkeit von beispielsweise chinesischen Zulieferern nicht in Abrede. Auf der Suche nach Abhilfe liesse sich in den Supply Chains möglicherweise nach fortlaufend benötigten A-Drehern und weniger dringlichen Segmenten unterscheiden, um von regelrechten Notsituationen, wie derzeit mit fehlenden Computer-Chips, wegzukommen.

Es gehe «noch nicht» ohne China, so Ralf Düster, Gesellschafter und Gründer der auf Supply Chain Management spezialisierten Setlog Holding. Aber offenbar setze sich auch nur ein Fünftel aller Unternehmen überhaupt mit ihrer Supply Chain auseinander. Seifert: «Wir waren ein wenig verwöhnt, bevor die Pandemie kam – Lieferungen wurden auf Knopfdruck bestellt und in Gang gesetzt». Das gehe jetzt eben nicht mehr so einfach.

Ralf Düster (Setlog)

Sollten also Produktion und Lieferketten wieder stärker in Europa verankert werden? Ob es Sinn mache, Chip-Produktionen wieder nach Europa zurückzubringen, fragt Würmser. «Wo die Maschinen stehen, ist doch eigentlich egal» – möglicherweise wäre also eine «Re-Lokalisierung» die Lösung. Düster: «Wenn wir das auf uns nehmen, muss das langfristig geschehen».

Schlechtestes Beispiel für eine misslungene Rückholung der Produktion seien die Corona-Masken gewesen. «Wenig später waren die dann wieder zu teuer – weil sie in Europa hergestellt wurden. Dann wurde wieder auf China zurückgegriffen“. Als anderes Beispiel werden E-Bikes genannt, die etwa in Polen produziert werden, jetzt aber auch schon 4000 bis 5000 Euro kosten.

Würmser fasst nach: «Billig, billig scheint noch immer die Devise – geht das wieder weg?» Düster hält gegen: «Wir haben auch zum Teil gar nicht mehr genug Arbeitskräfte, um solche Sachen zurückzuholen». Und in Asien werde heute ebenfalls qualitativ gute Arbeit geleistet.

Wo also solle man bei der Beschaffung anfangen? Mezger empfiehlt, «auf jeden Fall offen miteinander umzugehen». Protektionismus sei keine Lösung. Aber auch die US-Amerikaner blieben inzwischen wohl bei dem unter Donald Trump bevorzugten Prinzip des «America first».

Harald Seifert (Seifert Logistics)

Seifert auf die Frage, ob er bereit sei, für diverse Güter, Autos oder Mode-Artikel, 50 Prozent mehr zu zahlen, wenn er wüsste, dass sie aus Europa kämen? Seifert: «Beim T-Shirt ja, beim Auto nein». Vermutlich sei es so, dass sich für die teurere Lösung auch keine Mehrheit gewinnen liesse.

Im obersten Stockwerk des wirkungsvoll in Szene gesetzten Panorama-Restaurants waren sich schliesslich alle einig, dass es nicht darum gehe, «ob» es auch ohne die teils fatale Abhängigkeit von Zulieferern auf der anderen Seite des Erdballs gehe, sondern «wie» das zu bewerkstelligen sein könnte.

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