R.D.Precht
Richard David Precht leitete seine Keynote zum Excellence Day von GS1 Schweiz in aller Bescheidenheit ein. «Es gibt wohl kaum jemanden», so der Philosoph und Buchautor, «der (rein technisch) so wenig Ahnung von `KI´ hat, wie der Redner (Precht), der hier in der nächsten halben Stunde zu Ihnen spricht».
Vor zahlreichen geladenen Gästen, Logistikfachleuten und GS1-Experten ordnete der aus vielen Fernseh-Auftritten bekannte 60jährige Publizist, der unter anderem auch Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik in Berlin ist, sein eigenes Metier aus Sicht der eher technisch orientierten Zuhörerschaft aus der Transport- und ID-Branche völlig entgegengesetzt ein. «Philosophie ist für Viele so etwas wie `Sch...´ für Fortgeschrittene», so Precht drastisch. Was interessanterweise zu gänzlich anderen Ansätzen und wichtigen Einsichten zum Thema der Künstlichen Intelligenz führt, und sich als dankenswert disruptiv gegenüber den oft rein auf Effizienz und Kostenmaximierung getrimmten Ansichten kaufmännischer Rechenarten erweist.
So hatte Precht nach einem mit Beiträgen zu Organisations- und Wirtschaftspsychologie, dem Wandel in der Arbeitswelt, die nächste Barcode-Generation, neuen Identifikations-Merkmalen und Normen sowie Aspekten einer neuen, regenerativen Kreislaufwirtschaft gespickten Tagesprogramm freie Bahn für sein nach ganz anderen Gesichtspunkten sortiertes «Universum».
Dabei nahm er unter anderem Bezug auf Befindlichkeiten, die sich in Deutschland, dem «nördlichen Kanton», mitunter anders darstellen, als etwa in der Schweiz, wo er an diesem Abend zu Gast war. Deutschland sei bekannt für einen gelinden «Pessimismus», bei dem alles immer ein wenig schlechter aussehe, als andere es bewerten würden.
Der Mensch - im Wege? Foto: LogiMAT
Junge Länder in der sogenannten «Dritten Welt» zum Beispiel beurteilten die gegenwärtige weltpolitische Lage und wirtschaftlichen Entwicklungs-Möglichkeiten zur Gänze anders, als dies im Land des deutschen «Michel» der Fall sei. «Junge Leute in Saigon sehen mit wesentlich mehr Optimismus in die Zukunft». Aber, sagt er zugleich: «Wir sind sozusagen zum Fortschritt verdammt».
Ohnehin stellt der Philosoph in Frage, dass der Mensch überhaupt in der Lage sei, rational, also rein verstandesmässig Entscheidungen zu fällen. «Wenn wir ehrlich sind», meint er, «werden wirkliche Entscheidungen immer nach Gefühl gefällt». Vergeblich seien wohl auch die Bemühungen, einer Maschine «künstliche Empathie» zu vermitteln, da eine KI «moralisch nicht programmierbar» sei. Das bringe Schwierigkeiten mit sich. Unter anderem die bekannte Problematik aus dem Strassenverkehr mit autonomen Fahrzeugen, die in kritischen Situationen plötzlich vor der Frage stünden: «Wen überfahren Sie beim Ausweichen weniger gern – die alte Dame oder einen Hund?»
Foto: klk.
Dass die Dinge derzeit alle in Fluss sind, zeige auch die Entwicklung der jüngeren Jahre. Bis vor kurzem habe die Gesellschaft noch dagegen gekämpft, dass KI vom Militär genutzt würde. Jetzt werde dies als offenkundige Notwendigkeit um sich zu verteidigen nicht mehr in Frage gestellt. Im deutschen Grundgesetz gebe es im Gegensatz zur angelsächsischen Rechtsauffassung auch keine Zulässigkeit dafür, ein einzelnes Leben gegen «mehrere fremde Personen» aufzuwiegen. Das einzelne Leben sei hier genauso viel wert, wie dasjenige einer womöglich vielköpfigen Gruppe - und die Menschenwürde per Gesetz unantastbar.
Ein Robot, dem die Maxime einprogrammiert werde, möglichst viele Erdbeerfelder zu pflanzen, werde dies sicher auch tun und eventuell die ganze Erde mit «Strawberry Fields forever» überziehen. Dabei könnte der Mensch hinderlich sein. Ein einfacher Service-Robot, der auf Befehl einen «Kaffee holen» soll, könnte nicht zimperlich in der Wahl der Mittel sein, und rein theoretisch auch jemanden töten, der ihm dabei im Weg steht. Eine Ethik-Kommission einzurichten, habe hier gar keinen Zweck. Dab ei sei die Gesellschaft mit ihren Wünschen an die Automatisierung bereits sehr anspruchsvoll. Im Geiste und mit ihren Möglichkeiten sei vor allem die jüngere Generation schon sehr weit. «Aber unsere Strukturen in der Realität stimmen damit noch nicht überein», so Precht.
Moderator Tobias Müller fragt direkt: «Also könnte eine KI auch zu dem Schluss kommen, dass der Mensch im Grunde überflüssig ist?» Precht kontert mit einer Portion Zynismus. Eine Künstliche Intelligenz, die – unter Befragung aller verfügbaren Quellen – über den Wert des menschlichen Lebens zu entscheiden hätte, könne gut und gerne zu dem Schluss kommen, dass der Mensch ohnehin «überwiegend unglücklich» sei.
Die Denkanstösse waren gross an der Zahl und gaben nicht nur Anlass zum Schmunzeln. Bruno Kiser, Leiter des Industry Engagement bei GS1 Switzerland, der in diesem «Stadium» wieder zum Tagungsprogramm überleitete, stellte in Aussicht, dass sich GS1 um «schmerzfreie Lösungen» bemühen werde. Kiser: «Wir glauben an das Kollaborative».
Nächstes Jahr, in 2026 will GS1 mit seinem Excellence Day die Örtlichkeit wechseln, und zur «Stage 1» in Zürich ziehen. Der 18. Juni 2026 wird der nächste Stichtag sein.
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- Geschrieben von: Klaus Koch
